Samstag, 20. Juli 2013

Ein Jurist über das angeblich so dunkle Mittelalter


in der eigentümlich frei Nr. 135. Da ich nicht verlinken kann hier eine Zusammenfassung des Artikels von Ferdinand A. Hoischen und einige zentrale Zitate.

Der angeblich so aufgeklärte moderne Mensch setzt das Mittelalter oft gleich mit Leben in bitterster Armut, Hungersnöten, Plagen und Seuchen, Abwesenheit von Recht und Ordnung, Geltung eines Rechts des Stärkeren, Ausbeutung, Fehlen von Erziehung, Bildung, Wissenschaft und Kunst, blanker Unwissenheit (Erde als Scheibe), Aberglauben (Hexenverfolgung) und ähnlichem.
...
Im Europa des Mittelalters war eine unterentwickelte Gesellschaft erstmals erfolgreich darin sich selbst und aus eigener Kraft zu entwickeln und die moralischen und ethischen Bedingungen für tausend Jahre ununterbrochenen Wachstums zu schaffen. 

Die Leute hatten damals einfach die Faxen dicke vom römischen Reich, das nicht wegen dauernder germanischer Angriffe unterging sondern

wegen enteignender Besteuerung der Bevölkerung; gravierender Einschränkungen persönlicher Freiheiten, erstickender Regulierung und Überwachung des persönlichen und wirtschaftlichen Lebens, überbordender Bürokratie; ständiger und erhebliche Ressourcen verschlingender Kriegsführung, Günstlingswirtschaft, permanent höherer Ausgaben als Einnahmen, galoppierender Geldentwertung und daraus folgender Unwilligkeit der Bevölkerung, für "ihr" Imperium noch länger einzustehen.

Warum wir heute permanent die Ohren mit den Vorurteilen aus dem ersten Abschnitt vollgeblasen bekommen? Nun die Geschichte wird von den Siegern geschrieben und das sind derzeit Fans des römischen Staatsdiktatur-Systems.

Zum Ende der Antike war Rom nicht mehr in der Lage, zu regieren. Die germanischen Stämme waren frei von zentralisierter Staatskontrolle, jedoch nicht ohne Verwaltung. An die Stelle des untergegangenen Staates trat die Kirche und wurde zu einer moralischen Instanz mit gerichtlicher Macht. Aus dieser Situation erlangte die Kirche wirtschaftlichen Vorteil, da ihr von König und Adel großzügig kultivierbares Land geschenkt wurde. Bemerkenswerterweise stellte die Kirche jedoch keine Armee auf, um ihre Macht zu erhalten oder auszubauen, verschaffte sich kein Münzmonopol und keine Monopole auf Recht und Justiz.
Die christlichen und kirchlichen Beiträge zur Entwicklung der Zivilisation im Mittelalter waren bemerkenswert: Milderung der Sklaverei, größere Gleichheit innerhalb der Familie, Verbreitung des Konzepts des Naturrechts (jeder Mensch ist von Natur aus, also nicht erst durch die Gesetzgebung eines Herrschers oder Staates, mit unveräußerlichen Rechten ausgestattet, unabhängig von Geschlecht, Alter, Ort, Staatszugehörigkeit oder der Zeit und der Staatsform, in der er lebt; die Naturrechte sind demnach vor- und überstaatliche "ewige" Rechte) einschließlich des legitimen Widerstands gegen ungerechte Herrscher. Das kanonische Recht der Kirche beeinflußte die westlichen Rechtssysteme und lehrte die Europäer, wie ein modernes Rechtssystem aussehen mußte.

Das anarchische aber dennoch sehr effektive und freie Rechtssystem des Mittelalters und seine Folgen auf Wirtschaft, Freiheit der Wissenschaft etc. führt der Autor kenntnisreich aus, es lohnt sich, nicht nur wegen dieses Artikels, das Heft zu lesen. Nur noch ein Zitat füge ich an, sozusagen in eigener Sache, da ich einmal eine (aus heutiger Sicht sehr schlechte Diplomarbeit über Frauen im Mittelalter und Hexen geschrieben habe) :

Frauen hatte keine untergeordnete, sondern eine den Männern weitgehend gleichrangige Stellung. Sie besaßen hohe Bildung und nahmen herausgehobene Positionen in der Wissenschaft ein, sie hatten Leitungsbefugnisse auch gegenüber Männern, ihnen gehörten und sie führten eigene Unternehmen, sie hatten das Wahlrecht, sie konnten ohne Zustimmung ihrer Ehemänner Geschäfte tätigen und hatten Zugang zu Staatsämtern. Es war die Wiederbelebung des römischen Rechts am Ende des Mittelalters, die Frauen in einen zweitrangigen Status zurückversetzte.
...
Mit dem Tode bedroht wurde derjenige, der eine angebliche Hexe verbrannte. 

(Noch das Konzil von Frankfurt 794 ordnete die Todesstrafe für einen solchen Mord an, erste Verurteilungen von Hexen gab es im 13. Jahrhundert, in vollem Umfang setzten die Verfolgungen in der Renaissance ein)

Die weit verbreitete Annahme, die Hexenverfolgungen gingen hauptsächlich auf das Konto der kirchlichen Inquisition, ist historisch falsch. Die weit überwiegende  Anzahl der Hexenprozesse wurde vor weltlichen Gerichten verhandelt.

Da der Autor ein Fan hübscher Damen in Mittelalter-Gewandung ist habe ich ein entsprechendes Bild gesucht. Es kommt von hier.





6 Kommentare:

  1. Wissen wir doch längst - ich habe ein Buch aus dem SZ-Verlag (!), wo es um die Stadtgeschichte Münchens geht und genau das beschrieben ist ... Trotzdem komme ich mit Auszügen aus dem Buch bei der SZ selten durch die Zensur. Es will einfach keiner wahrhaben, weil die Geschichte nun mal so ist, wie sie in den letzten 40 Jahren umgeschrieben wurde ....

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  2. Die besondere Rolle der Kirche für unsere Zivilisation kommt in dem Beitrag noch mal sehr gut heraus. Das mit den Hexen weiß ich auch längst hab es aber noch mal reingenommen, weil mans wirklich nicht oft genug sagen kann bei dieser Fantasiegeschichtsschreibung, die mainstream ist.

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  3. Also das mit der angeblichen Hexenverfolgung im Mittelalter ist natürlich blanker Unsinn! Wobei die meisten Menschen noch nicht einmal wissen, von wann bis wann das Mittelalter dauerte. DANACH aber setzte die Hexenverfolgung mit um so stärkerer Wucht ein, wie in den Landesarchiven gut dokumentiert ist. Zum Beispiel hier: http://www.landesarchiv-bw.de/web/45869

    Weiterhin hat das Mittelalter selbst, so großartig es für die Kirche und ihre Macht gewesen sein mag, erhebliche Katastrophen nach sich gezogen. Nicht umsonst wird durch den Versuch einer gewaltsamen Rekatholisierung des Landes in der Gegenreformation der Dreißigjährigen Krieg ausgelöst, der auch als "blutiger Kehraus des Mittelalters" bezeichnet wird und der ganze Landstriche verwüstet und menschenleer gemacht hat.

    Man sollte also den Tag nicht vor den Spätnachrichtem und das Mittelalter nicht vor dem Westfälischen Frieden loben.

    Und was die angebliche "nicht-Hexenverfolgung" durch die römisch katholische Kirche angeht, sollte sich man mal in den einschlägigen Archiven das Unwesen der Fürstbischöfe von Würzburg anschauen. Da ging es ausgesprochen heiß her und es wurden nicht nur zwei oder drei "Hexen" verheizt.

    Wünsche viel Lernerfolg beim Quellenstudium!

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    1. F.M.
      Wie nun schon mehrfach beschäftigen Sie sich offenbar nicht mit den Texten, die ich hier schreibe und auf die ich hinweise, sondern nehmen Ihre Vorurteile, machen noch ein weiteres Faß auf, das nach Ihrer Ansicht gerade paßt um Ihre Ansichten zu bestätigen und mich damit befassen müßten auch diese Frage zu beantworten, worauf Ihnen dann das nächste einfällt, mit dem Sie mich beschäftigen, ohne daß Sie jemals bereit sind Ihre Ansichten zu hinterfragen und zu hinterforschen oder auch nur kritisch darüber nachzudenken. Das ist das letzte Mal, daß ich so etwas auf meiner Seite dulde. Das nächste Mal werde ich einen solchen Beitrag von Ihnen schlicht löschen.

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  4. Es geht in dem Beitrag auf Ihrer Seite um das Mittelalter, das über den grünen Klee gelobt wird. Ich weise darauf hin, dass die Nachwirkungen des Mittelalters schlimm waren und Belege dies mit historischen Tatsachen.
    Dass Hexen nicht im Mittelalter, sondern viel später und sehr wohl auch von Protagonisten der römisch katholischen Kirche befolgt, angeklagt, verurteilt und verbrannt worden sind, Belege ich sogar mit einem Link zu den Originaldokumenten.
    Entschuldigen Sie bitte, wenn die Wirklichkeit nicht in Ihr römisch-katholisches Glaubens- und Geschichtsbild passt, aber ich bin weder für den Dreißigjährigen Krieg, noch für die Hexenverfolgung durch die römisch-katholischen Personen (ich will angesichts Ihrer Empfindlichkeit mal vorsichtig sein) verantwortlich. Ich Berichte hier nur Fakten, die die Diskussion hier, zumindest teilweise, stützen.

    Wenn Ihnen das nicht gefällt, müssen Sie meine Beiträge selbverständlich löschen.
    Aber bedenken Sie bitte, dass Sie die Wirklichkeit der Geschichte NIEMALS verändern können. Das wurde schon oft versucht und ist nie gelungen. Vale!

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  5. Mit Erlaubnis von Herrn Hoischen stelle ich eine E-Mail an mich ein.

    Sehr geehrte Dorothea, (ich hoffe, ich darf Sie einfach so ansprechen)

    Vielen Dank für Ihre lobende Besprechung meines Artikels über das Mittelalter in "eigentümlich frei". Ich habe mich darüber gefreut.

    Lassen Sie mich bitte kurz noch etwas zu den kritischen Kommentaren von F.M. in Ihrem Blog bemerken. Es ist ein Irrtum anzunehmen, dass die "Nachwirkungen des Mittelalters schlimm waren". Es verhielt sich ganz anders! Nicht die angeblichen Nachwirkungen des Mittelalters waren schlimm, sondern die neuen Wirkungen der Neuzeit (Renaissance). Das Mittelalter war weitgehend staatsfrei, dezentral organisiert und auf Toleranz aufgebaut (Augustinus, Thomas von Aquin, Nikolaus Cusanus). Gegen Ende des Mittelalters gewann mit Blick auf die Antike die Idee vom starken Zentralstaat erneut an Macht und kam in der Renaissance zu voller Blüte. Die kleinen, oft selbst organisierten Verwaltungseinheiten des Mittelalters verschwanden und wurden durch Staatsgebilde mit Gewalt- und Besteuerungsmonopol abgelöst. Die freiwillige religiöse Toleranz des Mittelalters wurde durch die erzwungene Religions"freiheit" als Mittel staatlicher Machterhaltung ersetzt. Und genau dies, das Wiedererstarken des Staates war es, was die Neuzeit für das Individuum so katastophal machte und macht. Oder war es etwa eine Nachwirkung des Mittelalters, dass die Staaten im 20. Jahrhundert ca. 170 Millionen eigene Bürger - Kriege nicht eingerechnet - umgebracht haben?

    Ich hatte versucht, diese Anmerkung als Kommentar in Ihrem Blog zu posten, was mir jedoch mangels ausreichender Fertigkeiten in diesem Bereich nicht gelungen ist.

    Machen Sie unverdrossen weiter mit Ihren wertvollen Aktivitäten!

    Mit freundlichen Grüssen

    Ferdinand A. Hoischen

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